Serie: Flüchtlinge unter uns- Wer sind sie?

1.12.2017 Schermbeck. Pfarrer i. R. Wolfgang Bornebusch hat sich vorgenommen, Flüchtlinge, die es hierher nach Schermbeck verschlagen hat, zu interviewen und ihre Fluchtgeschichten festzuhalten.

Ihre Veröffentlichung soll dazu beitragen, ein wenig mehr darüber zu erfahren, was für Menschen mit was für Geschichten und Problemen zu uns kommen und nun mit uns leben. Diesmal geht es um Hussein Al-Jaboori und seine Familie.

Bornebusch berichtet:
Nach einer längeren Pause will ich mich wieder den Geschichten der unter uns lebenden Flüchtlingen zuwenden. Diesmal bekomme ich es mit Hussein Al-Jaboori zu tun. Er ist 31 Jahre alt, kommt aus dem Irak und ist das Jüngste von insgesamt 15 Geschwistern. Sieben Schwestern hat er und genau soviel Brüder. Einer der älteren Brüder hatte zu Zeiten Saddam Husseins den Diktator öffentlich kritisiert. Dies blieb nicht ohne Folgen. Er musste fliehen. Zunächst setzte er sich nach Saudiarabien ab. Heute lebt er mit seiner Familie in den USA.
Hussein wuchs auf auf einem Bauernhof mit 10 Kühen, zu klein als dass die Familie von dem Ertrag, den sie damit erwirtschaften konnte, hätte leben können. So betrieb man nebenher einen offenbar erfolgreichen Handel mit Diesel-Kraftstoff. Hussein bezeichnet seine Familie als durchaus wohlhabend.  Der Bauernhof der Familie liegt im südlichen Irak, in Faw, einem kleinen Dorf, etwa 110 km entfernt von der großstädtischen Metropole Basra. Um ihre Geschäfte zu machen, fuhren die Al-Jabooris ziemlich regelmäßig nach Basra, auch Hussein. Das blieb nicht verborgen – auch nicht der irakischen Mafia. So geschah es, dass man Hussein mit seinem Wagen auf dem Rückweg von Basra nach Faw anhielt und ihn kidnappte. 15 Tage hielt ihn die Mafia gefangen – bis die Familie mit den Erpressern handelseinig geworden war. 70.000,00 Dollar hatten sie von der Familie für die Freilassung von Hussein verlangt. Mit 50.000,00 Dollar waren sie schließlich zufrieden.  
Die Zeit im Gewahrsam der Mafia, das wird im Gespräch sehr deutlich, hat Hussein nachhaltig traumatisiert. Man behandelte ihn, so erzählt er, auf äußerst demütigende und entwürdigende Weise. Hussein kann über manches, was ihm da widerfuhr, kaum sprechen, kann es nur andeuten. Immer wieder wurde er brutal geschlagen und malträtiert. Eine seiner Hände brach man ihm, so verstehe ich. Mit einer Kalaschnikow stieß man ihn wiederholt mit einer solchen Wucht in den Rücken, dass er heute noch an den Folgen leidet. 
Wieder in Freiheit und doch gefangen
Wieder in Freiheit, wieder zuhause bei der Familie, verließ er nicht mehr das Haus. Zu sehr war er besetzt von der Angst, dass sich die Mafia wieder seiner bemächtigen würde. Er konnte in Folge dessen seiner Arbeit nicht mehr nachgehen, seine sozialen Kontakt nur sehr eingeschränkt noch aufrecht erhalten. Er war ein Gefangener in den eigenen vier Wänden.
Alles dies ereignete sich im Jahre 2012. Da beschloss er denn auch, den Irak zu verlassen, um ein neues, unbedrohtes, angstfreieres Leben beginnen zu können. Sein Ziel war die Türkei. Von Basra flog er über Istanbul nach Ankara, wo er erst einmal blieb – unterstützt von seiner Familie. Nur etliche Monate später aber – wir schreiben das Jahr 2013 – erkrankte seine Mutter schwer. So beschloss er, nach Hause zurückzukehren, um bei der Pflege und Betreuung der Mutter behilflich sein zu können. Und wieder durchlebte er eine Zeit, in der er ein Gefangener im eigenen Hause war.
Endgültige Flucht aus der Heimat
Als die Mutter nach gut vier Monaten starb, verließ Hussein den Irak endgültig. Diesmal war das Ziel von Anfang an Deutschland, weil ein guter Freund von ihm – er lebt heute in Stuttgart – bereits einige Monate zuvor dorthin geflohen war. Die Reise, die er nun antrat, war lang und sicherlich auch beschwerlich, aber anscheinend ziemlich undramatisch, jedenfalls frei irgendwelchen lebensbedrohlichen Situation. 3000,00 Dollar, so sagt er, musste die Familie für diese Reise aufbringen.
Von Basra flog er zunächst nach Erbil, eine Stadt im vom Kurden beherrschten Teil des Iraks. Von dort fuhr er mit dem Bus, die Grenze zur Türkei querend, über Ankara nach Izmir. Von Izmir setzte er mit einem Boot über nach Mythilene auf Lesbos, von wo es kurze Zeit später mit der Fähre weiter ging nach Athen. Von dort führte ihn der Weg quer durch Griechenland nach Makedonien. Die weiteren Stationen waren Serbien, Kroatien, Ungarn, Österreich und schließlich Deutschland. Mal war er mit dem Bus unterwegs, mal mit der Bahn.
Odysee durch Deutschland
Registriert wurde Hussein, so habe ich ihn verstanden, bei keiner seiner Grenzüberschreitungen, auch nicht beim Überschreiten der Grenze nach Deutschland. So bewegte er sich zunächst einmal völlig frei in unserem Lande. Zunächst kam er nach Hannover, wo er erfuhr, dass die Flüchtlingslager völlig überfüllt seien. So zog er weiter nach Hamburg. Von dort nach Stuttgart, wo er seinen irakischen Freund besuchte. Dieser riet ihm, es in Bremen zu versuchen. Auf der Fahrt von Stuttgart nach Bremen stieg er in einen ICE. Er hatte aber nur ein Ticket für den Regionalverkehr. So wurde ein Kontrolleur der Deutschen Bundesbahn auf ihn aufmerksam. Dieser übergab ihn in Bremen der Polizei, die ihn an die Ausländerbehörde weiterreichte. Hier nahm man ihm alle Fingerabdrücke ab. Hier wurde er nun endlich registriert – und wiederum weitergereicht: zunächst nach Bielefeld, dann nach Oer-Erkenschwick, und schließlich nach Schermbeck. Hier kam er im Oktober 2015 an.
Bereits zwei Jahre in Schermbeck
Zwei Jahre lebt Hussein also inzwischen in Schermbeck. Ich treffe ihn im ehemaligen Ecco-Hotel, wo auch die mit der Flüchtlingsarbeit betraute Caritas seit einiger Zeit ihr Quartier bezogen hat. Seinen Deutschkurs hat er bereits absolviert. Er hat auch schon – mit Erlaubnis der Ausländerbehörde - Arbeit gefunden. Auf einem Bauernhof. Da ist er für das Kühemelken zuständig. Damit kennt er sich ja von zuhause her aus. Hussein will nicht ausschließlich von der Großzügigkeit des deutschen Staates leben.


Hussein und die Anstreichertruppe (v. L.): Ali Altay, Hussein Jaboori (ganz hinten),Ilman Gazimaev, Sabine Walczak (Mitarbeiterin der Caritas / kniend), Riza Rizai und Gabi Roring (ehrenamtliche Mitarbeiterin)

Hussein steckt noch mitten im Asylverfahren, erfahre ich. Er hat den Status der „Duldung“. Ungeduldig wartet und hofft er auf seine Anerkennung. Die Ungewissheit, wie es mit ihm weitergeht, empfindet er als sehr belastend.Er möchte wieder eine Perspektive für sein Leben haben.
Ich erlebe meinen Gesprächspartner als sehr freundlich, zugewandt und offen – offen auch für den, der anders ist als er. Als ich ihn nach seinem religiösen Hintergrund befrage, antwortet er mir: „Ich bin Muslim, Shiit. Aber ich mag auch die Sunniten – und auch die Christen.“ Hussein will und kann es nicht verstehen, dass sich Menschen wegen ihrer unterschiedlichen Religionszugehörigkeit streiten oder gar bekriegen.



Hussein Jaboori (2. Reihe / 3. von links) beim Schermbecker Soccer Turnier 2016

Die MitarbeiterInnen der Caritas, die mir den Kontakt zu Hussein vermittelt haben, sind voll des Lobes für Hussein. Sie beschreiben ihn als ehrlich, hilfsbereit und engagiert. Er arbeitet mit beim „Café international“ im Pfadfinderheim. Die ehrenamtlichen Helfer dort hat er bereits eingeladen und bekocht. Stolz zeigt er mir ein Foto von seinem Lammgericht, das er für sie zubereitet hat. Gerade ist er dabei, der Caritas unter die Arme zu greifen: er hilft beim Anstreichen des Empfangsraums im Ecco-Hotel. Auch sportlich ist Hussein unterwegs: Er spielt mit in der 3. Fußball-Herrenmannschaft des SV Schermbeck. Wäre der Wille, sich zu zu integrieren, das einzige Kriterium, um seine Anerkennung als Asylsuchender zu bekommen, könnte man ihm diese, so scheint mir, kaum verweigern.
Wolfgang Bornebusch, Pfarrer i. R.